Die Yamas | Wie du Zufriedenheit im Umgang mit anderen findest
Was mich am Yoga so fasziniert, ist, dass es eben nicht nur um Bewegung geht, sondern um eine ganzheitliche Lebensausrichtung. Yoga vereint bewusste Körperübungen und Atmung mit Philosophie. Yoga ist ein achtgliedriger Pfad, der den Menschen zu Ruhe und Klarheit des Geistes bringt. Neben den Asanas, den Körperübungen, gibt es weitere Dinge, die uns helfen, diese innere Zufriedenheit zu erlangen, wie z.B. die Niyamas, Tipps zum Umgang mit dir selbst. Ein anderer Teil davon ist eine Art und Weise des Umgangs mit anderen – die Yamas. Patañjali beschreibt sie in den Yoga Sutras 2.35 bis 2.39. Für mich sind diese philosophischen Empfehlungen zum Umgang mit anderen ganz wunderbar, weshalb ich euch davon erzählen werde.
Die Yamas
- Ahimsa | Liebe und Verständnis
- Satya | Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit
- Asteya | Nicht-Stehlen und Nicht-Begehren
- Brahmacharya | Mäßigung
- Aparigraha | Bescheidenheit
Wenn ihr im Religions- oder Ethikunterricht aufgepasst habt, werden sie euch vielleicht auch ein bisschen an die 10 Gebote aus der christlichen oder jüdischen Religion erinnern. Nur finde ich sie etwas genauer und präziser ausformuliert und auf mehr Bereiche des Lebens bezogen – etwas vollständiger.
1. Ahimsa
Liebe und Verständnis
Ahimsa bedeutet genau übersetzt Nicht-Verletzen oder Gewaltlosigkeit in Handeln und Denken. Für mich bedeutet das noch etwas mehr, als diese zwei Worte. Behandle alles, was lebt mit Rücksicht, Verständnis und Liebe. Handle also so, dass alles Lebendige so wenig Leid wie möglich erfährt. Für mich ist Ahimsa eine grundlegende Sache, an der jeder Mensch arbeiten kann. Ich kann dir dazu die App „Bodhi“ empfehlen, in der du einen kostenlosen Meditationskurs „Open Heart Path“ machen kannst. Das tolle ist: Je mehr Liebe du in dir „pflanzt“, desto mehr Liebe kommt zu dir zurück. #beingkindiscool 😉
Auf dich selbst bezogen, bedeutet dass in erster Linie Selbstliebe. Sei nett zu dir, verurteile dich nicht selbst, sei dein eigener bester Freund. Oft beginnt das schon in ganz kleinen Dingen. „Ach, bin ich blöd!“ oder „Ich bin so dumm!“, wenn dir mal etwas nicht so gut gelingt. Versuche dich bei solchen Gedanken oder Äußerungen selbst zu erwischen und richtigzustellen: „Ich bin ein super intelligenter Mensch, aber heute etwas tollpatschig, und das ist ok“. Genauso solltest du mit deinem Körper umgehen, wenn du krank bist, mal etwas schmerzt oder beim Sport nicht so gut klappt. Vor allem in der Asana-Praxis: zwing dich nicht in Haltungen, die dir weh tun, nur weil sie hübsch aussehen und dein Ego sie unbedingt können will. Übe regelmäßig und dann kommt das von ganz allein, wenn dein Körper soweit ist.
Je behutsamer ein Mensch handelt, desto mehr werden andere Menschen in seiner Gegenwart liebevolle Gefühle empfinden. – Yoga Sutra 2.35 (T.K.V. Desikachar)
Auch im Umgang mit den Menschen in deiner Umgebung kannst du Ahimsa üben. Ich erwische mich oft selbst dabei, Leute blöd zu finden, weil sie gerade nicht freundlich sind. Oft gibt es einen Grund dafür, der überhaupt nichts mit mir zu tun hat. Ich versuche dann Liebe und Verständnis für diesen Menschen aufzubringen und nicht mit derselben Unfreundlichkeit zurückzupatzen. Und gerade, wenn man in solchen Momenten besonnen und behutsam ist, verschwindet oft auch beim Gegenüber die Aggression.
Außerdem kannst du Ahimsa auf die Umwelt und Lebewesen darin beziehen. Vegetarismus und Veganismus ist ja nichts neues hippes von diesem Jahrhundert, sondern beruht auf Jahrtausende alter Ethik. Tiere essen schließt Ahimsa also komplett aus, genauso wie Eier von jeglichen Tieren (sei es nun Huhn oder Fisch), weil sie potenzielles Leben sind. Genauso sollte man kein Tier gefangen halten, um etwas von ihm zu bekommen. Die Spinne oder Fliege in deinem Zimmer musst du auch nicht erschlagen, du kannst sie vorsichtig nach draußen führen. Ahimsa. Die Umwelt kannst du ebenso mit Liebe behandeln: produziere wenig Müll, schmeiß nichts davon in deine Umgebung, verletze keine Pflanzen oder Tiere (das ist für mich persönlich gerade bei Mücken eine äußerst schwere Aufgabe…). Das Leben komplett nach diesem Gebot zu richtigen, ist aber nicht möglich. Fliegen auf deiner Autoscheibe oder beim Radfahren in deinem Gesicht, ein Käfer auf der Wiese, den du nicht gesehen hast oder die Lebewesen unter dem Haus, was du gebaut hast, hast du nicht mit bloßer Absicht getötet.
Ein tolles Mantra dafür, welches meine Yoga-Lehrerin Romy immer nach jeder Stunde sagt, ist:
Lokah Samastah Sukhino Bhavantu
Mögen alle Lebewesen dieser Welt glücklich und frei sein und mögen meine Gedanken und Handlungen zu Glück und Freiheit aller beitragen.
2. Satya
Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit
Satya bedeutet übersetzt Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit oder bewusste Worte. Eine weitere sehr tolle Richtlinie im Umgang mit anderen, sei es in der Beziehung, mit deinen Familienmitgliedern, Freunden oder in deiner Arbeit. Wähle deine Worte und Gesten bewusst und sei ehrlich in deiner Kommunikation. Dabei ist aber Ahimsa nicht zu vergessen, denn trotz der Ehrlichkeit sollten deine Worte niemanden verletzen oder deren Leid herbeiführen. Das nötige Feingefühl für eine aufrichtige und liebevolle Kommunikation aufzubringen ist also auch ein Teil von Satya.
Ein tolles Beispiel ist eine kleine Geschichte, die ich gehört habe:
Zwei Bauerfamilien leben nebeneinander. Eine Bäuerin kultiviert nur Pflanzen, der andere Bauer hat auch Kühe, die er schlachtet. Die Bäuerin arbeitet auf ihrem Feld, während plötzlich eine Kuh ihres Nachbarn an ihr vorbeiläuft und in ihren Hintergarten geht, wo das Gras besonders frisch ist. Etwas später kommt der Bauer zu ihr und fragt sie, ob sie seine Kuh gesehen habe, da sie heute geschlachtet werden soll und sich „vom Acker gemacht hat“. Die Bäuerin antwortet daraufhin „Ja, ich hab deine Kuh gesehen. Sie ist an mir vorbeigelaufen“. Sie lügt nicht, beschützt aber mit Ahimsa in ihren Gedanken die Kuh vor ihrer Schlachtung. Ahimsa ist in diesem Fall höher als Satya.
Diese Ehrlichkeit kannst du auch auf dich selbst anwenden. Verstell dich nicht und sei die Person, die du wirklich bist. Glück und Zufriedenheit kommt meist zu denen, die ihre eigene Wahrheit leben. Du kannst dich also einfach mal fragen: Bin ich in meiner Beziehung noch ich selbst? Passt diese Person zu mir und fördert sie alle meine guten Seiten? Kann ich in meinem Job ich selbst sein? Oder fordert mein Job, dass ich mich verstelle? Dann ist es nicht das richtige.
Auch hier gibt es noch einen kleinen Tipp von mir: zwei Podcast-Folgen von Laura Malina Seiler.
- Wie du authentisch deine Wahrheit leben kannst
- Wie du trotz Angst und Zweifeln deiner inneren Wahrheit folgen kannst – Interview mit Feli Hargarten
3. Asteya
Nicht-Stehlen und Nicht-Begehren
Asteya bedeutet übersetzt Nicht-Stehlen, was natürlich selbsterklärend ist. Es hört aber nicht bei dem Stehlen auf, denn alle Yamas sind auf Handlungen und Gedanken bezogen – also auch nichts stehlen zu wollen. Begehre nichts, was dir nicht gehört oder dir nicht zusteht. Begehren und Verlangen sind zwei recht menschliche Dinge. Gerade in unserer Gesellschaft haben wir ziemlich viele davon, da sie uns von klein auf suggeriert werden. Mehr Geld, einen Job mit mehr Ansehen, ein größeres Auto, eine neunte Tasche in der Sammlung – es gäbe tausende Beispiele. Oftmals führt die Erfüllung des einen Wunsches auch schon zu, nächsten und bringt nicht die Zufriedenheit, die du dir erwartet hast, oder? Interessanter Weise sind Menschen mit so vielen Wünschen und Begehren oftmals nicht so richtig zufrieden. Ein Begehren erzeugt Stress und dieser führt zu Unzufriedenheit, denn dein Gehirn lernt: neue Dinge = Freude. Diese Freude hält aber leider nur sehr kurz an und schon ist der nächste Wunsch zu erfüllen. Man verliert den Blick für das Wesentliche. Was ist wirklich nötig für innere Ruhe? Ganz bestimmt keine materielle Neuanschaffung.
Wenn ein Mensch nichts begehrt, was anderen gehört, so werden andere Menschen alles mit ihm teilen wollen, wie kostbar es auch immer sein mag. – Yoga Sutra 2.37 (T.K.V. Desikachar)
Dieser Satz hat mich beim ersten Lesen auch sehr berührt, denn er ist so wahr! Ist ein Mensch bescheiden und weiß um sein eigenes Ziel, kommt meist alles wichtige sowieso zu ihm oder ihr.
Außer Matierellem kann Asteya aber auch auf andere Dinge übertragen werden, wie z.B. Zeit. Nimm die Zeit der Menschen als etwas wertvolles war. Wenn du einen Termin hast, einen Yogakurs gebucht hast oder
Das ist Projekt, an dem ich selbst sehr hart arbeiten muss.
4. Brahmacharya
Mäßigung und Enthaltsamkeit
Brahmacharya wird in strengend Yogi-Kreisen die Enthaltsamkeit genannt und bezieht sich im engeren Sinne auf Sexualität und das Mäßigen der Triebe. Dass sexuelle Gewalt, Belästigung oder das Ausnutzen von Macht um dieses auszuführen dazugehören, ist selbstverständlich. Brahmacharya bedeutet nicht, dass du als Yoga-Praktizierender Mensch keinen Sex mehr haben kannst. Es geht eher darum, deine Versprechen in dieser Hinsicht einzuhalten. Willst du Nonne oder Mönch werden, bedeutet das in diesem Fall Askese und den Verzicht auf jegliche Sexualität. Bist du in einer festen Partnerschaft bedeutet das z.B. den Verzicht auf andere sexuelle Abenteuer mit anderen. Auch in einer Partnerschaft kann man Brahmacharya leben, in dem man auf die Bedürfnisse des Anderen achtet und seine (sexuellen) Bedürfnisse nicht vor die des Partners oder der Partnerin stellt. Ebenso mit Menschen in deinem Umfeld: möchten sie berührt werden? Finden sie es in Ordnung, angefasst zu werden?
Im weiterein Sinne kann Brahmacharya auch auf andere Aspekte des Lebens übertragen werden. Mäßige dich in all deinem Tun, seien es Schokolade, Sport oder Partys. Das bedeutet keinesfalls, dass du gänzlich auf alle Freude verzichten sollst. Nein! Genieße alle Dinge in vollsten Zügen und ganz bewusst – und sei dir auch klar darüber, wann du anfängst einem guten Gefühl nachzurennen. In diesem Moment solltest du stoppen. Das hängt eng zusammen mit Asteya, dem Nicht-Begehren. Lasse dich nicht von fremd erzeugten Bedürfnissen leiten, wie tollen Marketing-Sprüchen, die zum Kauf anregen. Genieße dein Brot mit Schokoaufstrich, aber iss nicht gleich drei davon. Genieße es mit deinen Freunden feiern zu gehen, aber gib nicht nicht komplett der Ekstase hin und geh nach Hause, wenn du müde bist. Das sind nur ein paar Beispiele, in denen du Mäßigung üben kannst.
5. Aparigraha
Bescheidenheit und Besitzverzicht
Aparigraha bedeutet Unbestechlichkeit, Nicht-Annehmen oder auch Besitzverzicht.
Nimm nur das, was du brauchst und horte oder sammle keine unnützen Dinge. Ein sehr heikles Thema in der westlichen Welt, die von Konsum geprägt ist. Aber du kannst dich vor jeder Anschaffung fragen: brauche ich das wirklich? Was bringt mir der Gegenstand? Und wie lang wird er zu meinem Glück beitragen? Genauso kannst du mit Dingen umgehen, die du bereits besitzt. Es ist Frühjahr und ein kleiner Frühjahrsputz doch eigentlich eine ganz gute Idee 😉 Wie viele Gegenstände, Kleidungsstücke, vielleicht Bücher o.ä. haben wir, die wir schon mehr als ein Jahr nicht in die Hand genommen haben? (Ich muss zugeben, gerade in meinem Kleiderschrank mach ich das sehr gern. Ein paar Tipps und Vorgehensweisen dazu findest du hier.) Sich von unnützen oder nicht-benutzten Dingen zu befreien ist ein ganz erleichterndes und tolles Gefühl. Versprochen. Außerdem stimmt es ein bisschen: Ordnung außen schafft auch Ordnung innen. Du siehst, auch der Trend des Minimalismus ist nicht erst im 20. Jahrhundert entstanden. Jeder materialistische Besitz ist in gewisser Weise auch eine Last. Stell dir vor du möchtest umziehen, oder morgen auf Reise gehen. Wie lang brauchst du, um so eine Aktion vorzubereiten und wie viele Menschen stoppen vielleicht sogar ihren Traum, weil die Schritte dorthin zu kompliziert scheinen? Deshalb empfehle ich so wenig wie möglich auf einen Dachboden oder in einen Keller zu stellen – gerade wo man die Dinge nicht oft sieht, können sie sich ganz schnell ins Unermessliche stapeln.
Unbestechlichkeit ist ein weiterer Aspekt von Aparigraha. Das heißt nicht nur, sich tatsächlich nicht bestechen zu lassen, aber auch keine Handlungen auszuführen, nur weil sie dir Vorteile bringen. Meine Oma z.B. sagt oft sowas wie „Die Petra lad ich nicht zu meinem Geburtstag ein, sie hat mich letztes Jahr ja auch nicht eingeladen!“. Das ist nicht Aparigraha. Nur einladen, weil man selber eingeladen werden will – ein kleiner Zickenkrieg und absolut nicht selbstlos. Das kann sich auch auf dein Arbeitsfeld ausweiten. Hast du Kontakte, die du aufrecht erhältst, weil sie dir später mal nützen könnten? Und womöglich sind dir die Menschen nicht mal sympathisch? Frag dich dabei: welche Energie und welche Intention sendest du damit in die Welt? Ich glaube fest daran, wenn man ehrliche Kontakte pflegt bringt das am Ende viel mehr und pflanzt vor allem mehr Positivität und Liebe in der Welt.
Jemand, der sich auf das beschränken kann, was er braucht und was ihm zusteht, fühlt sich sicher. Ein solcher Mensch findet Zeit zum Nachdenken, und er wird ein vollkommenes Verständnis von sich selbst gewinnen. – Yoga Sutra 2.39 (T.K.V. Desikachar)
Ihr seht, es gibt so einige Empfehlungen, die im Yoga Sutra niedergeschrieben sind. 2000 Jahre alt – sag ich da nochmal. Es gibt schon immer die gleichen Probleme und auch schon immer mögliche Lösungswege dafür. Ich habe das Gefühl, sie sind nur etwas in Vergessenheit geraten. Vielleicht hast du Lust und suchst dir erstmal eins der Yamas aus und arbeitest in der nächsten Woche oder dem nächsten Monat daran. Ich freu mich, wenn du mir davon berichtest! Gern in einem Kommentar hier, oder auf meinem Instagram-Account 🙂
Und jetzt auf zur Selbstliebe und Selbstverwirklichung oder wie Michael Jackson schon singt:
I’m starting with the man in the mirror
I’m asking him to change his ways
And no message could have been any clearer
If you wanna make the world a better place
Take a look at yourself and then make a change!
Du willst mehr wissen?
Wie du siehst, ist Yoga also ziemlich weit weg von reiner Gymnastik und schicken Leggings. Und du musst dafür nicht auf krassen Felsen stehen oder in der Natur sein. Für mich persönlich hat es sich neben der Körper- und Atempraxis, toll angefühlt, mich mit den Yamas und Niyamas zu beschäftigen. Denn hier kann ich mich wirklich hinterfragen und weiterentwickeln. Yoga entwickelt den ganzen Menschen weiter. So, und bevor ich jetzt weiter schwafle, empfehle ich dir noch ein tolles Buch zur Einführung in Yoga
Und wenn du jetzt richtig in die Philosophie eintauchen möchtest, kannst du das Yoga-Sutra lesen (ich nenne es salopp die Bibel des Yoga, wobei es nichts mit Religion zu tun hat). Aus diesem uralten Buch von Patanjali sind diese Wege und Weisheiten entnommen. Ich habe die Version von Desikachar gelesen und fand sie sehr gut erklärt und leicht verständlich. Die 8 Glieder des Yogaweges kannst du dort ab Yoga Sutra 2.29 nachlesen.